Transparent sollst du sein,

SPIEGEL ONLINE - 19. Januar 2005, 11:23
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Debatte

Transparent sollst du sein, Bürger

Von Frank Patalong

Durch den schnellen Fahndungserfolg im Fall Moshammer ist endlich bewiesen, wofür DNS-Tests gut sein können. Otto Schily will mehr davon, NRW-Innenminister Fritz Behrens kann gar nicht genug davon bekommen. Er fordert: Getestet werden sollte alles vom Ladendieb aufwärts. Wirklich?

Körper-Scan bis auf die Knochen: Immer mehr Politiker wünschen sich gläserne Bürger
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Körper-Scan bis auf die Knochen: Immer mehr Politiker wünschen sich gläserne Bürger
Wenn es nach NRW-Innenminister Fritz Behrens ginge, müssten sich Ladendiebe künftig darauf einrichten, dass man ihnen DNS-Proben abnähme. Natürlich nur, wenn eine Wiederholungsgefahr bestünde, schränkte er im Deutschlandfunk ein - also so gut wie immer. Dann allerdings könne auf eine richterliche Entscheidung, wie sie bisher nötig ist, ruhig verzichtet werden.

Im Klartext: Das Sammeln und die Erfassung von Genmaterialien würde auch in Bezug auf Kleinkriminalität zum täglichen Bestandteil polizeilicher Routinearbeit.

Dass ein SPD-Innenminister so etwas sagen kann, ohne achtkantig aus dem Amt gejagt zu werden, zeigt, wie sehr sich Land und Welt verändert haben in den letzten zwei Jahrzehnten. Noch 1983 scheiterte der Versuch der damaligen Kohl-Regierung, in der BRD eine Volkszählung durchzuführen, an zahlreichen Protesten, Boykottaufrufen und Verfassungsbeschwerden - mitgetragen auch von vielen Grünen, SPD-Mitgliedern und Jusos. Das Schreckgespenst vom "gläsernen Bürger" bewegte Zehntausende. Viele zeigten sich bereit, lieber eine Vorstrafe in Kauf zu nehmen, als dem Staat Neugier über die jährliche Steuererklärung hinaus zu erlauben.

Eigentlich wollen alle

Zweiundzwanzig Jahre später wirkt das aberwitzig und undenkbar - und Innenpolitiker überbieten sich mit Vorschlägen und Plänen, wie man den Bürger endlich völlig transparent bekommen könne: Dass biometrische Merkmale in Pässen, eine stetige Ausweitung der Lauschangriffe und eine zunehmende Erfassung von DNS-Daten dazugehören werden, ist längst beschlossene Sache. Behrens ist da völlig auf Linie seines Parteifreundes Otto Schily.

Lesegerät für Fingerabdrücke: Bald Standard an jeder EU-Grenze, auf jedem Flughafen
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Lesegerät für Fingerabdrücke: Bald Standard an jeder EU-Grenze, auf jedem Flughafen
Der bekommt wegen seiner DNS-Forderungen gerade mächtig Gegenwind auch aus den eigenen Reihen, aber letztlich ist das Teil des Spiels. Solche Prozesse funktionieren wie ein orientalischer Basar: Schily fordert, handelt, feilscht - und wird am Ende mehr bekommen, als seine Gegner ihm zugestehen wollten. Die stete Kompromisssuche zwischen Datenschützern und den Befürwortern größeren staatlichen Wissensdranges höhlt den Datenschutz Jahr um Jahr mehr aus.

Da können einem die einst als Hardliner verschrienen Schönbohms und Becksteins der Republik schon fast leid tun: Auch Bayerns Innenminister trommelt tapfer für eine Ausweitung der Gentests, doch geht seine auf Vernunft gebürstete Argumentation im schrillen "Her damit!"-Chor nahezu unter. Durch DNS-Analysen, begründete er im Bayrischen Rundfunk, warum er im Verbund mit Hessen schon bald mit einer entsprechenden Gesetzesinitiative vorpreschen wolle, ließen sich "Unschuldige entlasten und Schuldige belasten". Sicher, unter anderem.

"Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts"

Sein Chef Edmund Stoiber drängt derweil darauf, dass die Bundesregierung "ihre Blockadehaltung" gegen eine Bundesratsinitiative für mehr DNS-Tests endlich aufgebe. Stoiber wörtlich: "Die DNA-Analyse muss zum Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts werden."

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Da rennt er zumindest in Teilen der SPD offene Scheunentore ein. Schily und Co. denken längst in viel weiteren Rastern. Dass der schnelle Fahndungserfolg im Fall Moshammer jetzt allen Gentest-Befürwortern als Argument für die DNS-Tests dient, ist zwar Blödsinn, aber es ist publikumswirksam. Dass sich per DNS-Analyse eine Täterschaft einwandfrei nachweisen lässt, wenn man über a) den Täter und b) ein DNS-Sample verfügt, weiß man doch spätestens seit der hitzigen Diskussion um Vaterschaftstests.

Schily macht's vor: Der Innenminister lässt seine Iris scannen
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Schily macht's vor: Der Innenminister lässt seine Iris scannen
Nur wenige Tage, nachdem nun der nur vom Vater initiierte DNS-Test verboten wurde, fordern Vertreter von Vater Staat die DNS-Identifizierung von Ladendieben: Vielleicht sollten zweifelnde Papas künftig ihren angeblichen Nachwuchs zum Kaugummiklauen animieren, wenn sie eine Genanalyse wünschen?

Der Zugriff auf die Daten des Bürgers liegt im Trend.

Das Briefgeheimnis bröckelt, seit die Zugriffsrechte des Staates auf elektronische Kommunikation ausgeweitet, die Telekommunikationsdienstleister gar zur Speicherung von Daten über das Kommunikationsverhalten ihrer eigenen Kunden zwangsverpflichtet wurden. Fast unbemerkt fällt Anfang April auch das Bankgeheimnis. Darauf, kleinere Nebenverdienste in der Steuererklärung vergessen zu können, braucht künftig niemand mehr zu hoffen: Die Banken melden Kontostände auf Anfrage an die Ämter. Wann immer und sooft diese das wünschen.

Lauter gute Absichten

Und zwar ungefragt, unbemerkt, automatisch und elektronisch. Zugriffsberechtigt ist nicht nur der Fiskus, sondern sind auch Sozialbehörden und Arbeitsämter. Die zunehmende Vernetzung verschiedenster Datenbanken schafft Möglichkeiten, von denen George Orwell Mitte des letzten Jahrhunderts noch gar nicht albträumen konnte. Hellsichtig aber hatte er durchaus vorhergesehen, dass die Dauerdurchleuchtung des Bürgers in seinem Buch "1984" nicht nur etwas mit totalitärer Kontrolle zu tun hatte, sondern auch mit einer seltsam ambivalenten Hass-Liebe zwischen Beobachter und Beobachtetem. Eigentlich wollen in der Gesellschaft von 1984 alle nur das jeweils Beste für sich oder das Gemeinwesen - was sie auch immer dafür halten.


Zu schnell vergisst man die "Väterlichkeit", die der Gedankenpolizist O'Brien gegenüber dem durchleuchteten, gequälten, am Ende Gehirngewaschenen Winston Smith an den Tag legt. Der sagt am Ende, dass er den "großen Bruder" liebe - schützt ihn der nicht auch vor allen Unbillen inklusive seiner selbst, garantiert er nicht die absolute Ordnung?

Fließend, wollte Orwell uns vermitteln, ist die Grenze zwischen Sicherheit und Kontrolle, die uns den freien Willen nimmt. Genau deshalb sträubte sich doch jahrzehntelang - und zugegebenermaßen oft reflexhaft - gerade die Linke gegen jeden Ansatz von "Big Brother".

NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD): DNS-Test für alle Kleinkriminellen vom Ladendieb aufwärts
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NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD): DNS-Test für alle Kleinkriminellen vom Ladendieb aufwärts
Heute reicht das sermonhaft wiederholte Argument "Sicherheit" zur Begründung weitreichendster Maßnahmen - obwohl in Deutschland die Zahl der Gewaltverbrechen und die Gefährdung öffentlicher Sicherheit niedriger liegen als je zuvor in der Geschichte des Landes. Der Verweis auf die USA und den 11. September, auf diverse Krisenherde in der Welt und die potenzielle Bedrohung des Landes aber reicht, jedes Gegenargument wegzuwischen. Dass der Grüne Volker Beck in der Forderung nach mehr DNS-Tests einen "erheblicher Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung" entdeckt, wirkt da unkonkret und fast schon akademisch versponnen.

Wer hört schon auf Kassandra?

Von der früheren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erwartet man dagegen kaum etwas anderes: Ihre historische Demonstration politischen Rückgrats, als sie im Protest gegen die Lauschangriff-Pläne der letzten Kohl-Regierung von ihrem Ministerposten zurücktrat, hat die Liberale wohl auf Lebenszeit mit dem Thema Datenschutz verhaftet. Wie der Deutsche Anwaltsverein sieht auch Leutheusser-Schnarrenberger in der Speicherung des "genetischen Fingerabdrucks" einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Bürgers - zumindest als polizeiliches Standard-Mittel. Auch die so genannten nicht-codierenden Teile des Genoms enthielten "eine Missbrauchsgefahr". Eine richterliche Anordnung sei weiterhin unverzichtbar.

Für Leutheusser-Schnarrenberger ist die Diskussion um DNS-Tests in der polizeilichen Arbeit nur ein Aspekt einer größeren Debatte. Am Freitag diskutiert der Bundestag in erster Lesung den zweiten Gesetzentwurf zur akustischen Wohnraumüberwachung ("Lauschangriff"), und auch der schmeckt ihr ganz und gar nicht.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht erhebliche Nachbesserungen an den bestehenden Bestimmungen gefordert hatte, war bei den Kritikern zunächst Hoffnung aufgekommen, der neue Entwurf würde milder ausfallen. Die aber, mokierte sich Leutheusser-Schnarrenberger Anfang dieser Woche, war wohl verfehlt: Der Entwurf der Justizministerin Brigitte Zypries sei nicht geeignet, die Hoffnung zu nähren, "dass die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts die Tendenz zum autoritären Staat bremsen könnte. Dieser Entwurf ermöglicht jede Wohnraumüberwachung, wenn sie polizeilich sinnvoll ist."

Überblick: Biometrische Verfahren
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Überblick: Biometrische Verfahren
Doch auch den Gegner fällt es zunehmend schwerer, die von ihnen nicht geliebten neuen Methoden pauschal abzulehnen. Dass DNS-Tests eine "ganz wichtige kriminalistische Methode" darstellen, bezweifelt auch der Grüne Volker Beck gar nicht. Er wendet nur ein, dass die Speicherung der DNS-Daten bei unbescholtenen Bürgern oder bei geringen Straftaten unverhältnismäßig sei. Er wittert eine Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsteile, wenn er mahnt, "dass die Unschuldsvermutung hier faktisch ausgehebelt wird".

Irgendwann einmal, auch soviel scheint klar, werden DNS-Daten Bestandteil der identifizierenden Merkmale in Personalpapieren sein. Die bald beginnende flächendeckende Erfassung von Fingerabdrücken ist ein Anfang, der zeigt, wohin es geht. Spätestens 2006 soll der Bundesbürger nur noch mit einem entsprechend ausgerüsteten Pass verreisen.

Doch auch der erntet aus Schilys Sicht zunehmend unwillkommene Kritik. Bürgerrechtsorganisationen wird mulmig, wenn sie an die größte Fingerabdruck-Sammlung der Geschichte denken - und nun beschweren sich auch die Verbraucherverbände. Da kann Schily noch so vehement dementieren: Derzeit kursieren Rechnungen, nach denen neue Pässe ab 2006 Summen zwischen 130 und 300 Euro pro Person kosten werden. Nach Informationen der Grünen plane das Innenministerium, die Mehrkosten für den staatlichen Informationshunger auf den Bürger abzuwälzen - natürlich dementiert das Innenministerium auch das.

Doch auch "positive" Töne kommen aus dem Schily-Ministerium: Offenbar gibt es dort bereits Pläne, neben den Pässen bis 2007 auch die Personalausweise mit Fingerabdrücken und RFID-Chips auszustatten. Der Datenhunger der Staatsschützer scheint unersättlich. Parallel dazu schreitet die internationale Vernetzung von Polizeibehörden fort. Man muss kein Hellseher sein, wenn man dem Geschäft der Verschwörungstheoretiker einen baldigen Boom vorhersagt: Mit einer Themenlage von DNS-Tests über Fingerabdruck-Ausweise, Meldelisten an amerikanische Behörden, der Datenbrücke Banken-Ämter, die Synchronisierung von Einwohnermeldedaten in der EU, RFID-Chips in Supermärkten bis hin zur Möglichkeit der Nummernschilderkennung an deutschen Mautbrücken ist für mächtig viel Munition gesorgt.

Das meiste davon gehört nicht zusammen, aber gerade darum geht es den Kritikern ja: Was wäre, wenn es einmal zusammengebracht würde?


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